Reference: AVSA9864
Eine der interessantesten musikalischen Neuheiten im 15. und 16. Jahrhundert war die Behauptung und Weiterentwicklung der Unabhängigkeit der Instrumentalsprache mit der Etablierung neuer musikalischer Ausdrucksweisen ausgehend von vokalen Formen sowie der Improvisation und des Tanzes. So wie im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts das vokale Lied die Entwicklung der Canzoni da sonare und der Madrigali passeggiati an den Höfen prägte, die einen regen Kontakt mit dieser Kultur pflegten – etwa der flämische und der katalanisch-aragonesische Hof –, entwickelte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu Zeiten des aufblühenden, in Neapel kürzlich eingezogenen Hofes Alfons V. des Großherzigen ein neues einschlägiges Repertoire, das sich in den folgenden Jahrhunderten über die gesamte Iberische Halbinsel ausbreitete, insbesondere an den Höfen von Kastilien, Aragon, Katalonien und Valencia, einschließlich Gebiete wie Flandern, Neapel und Sizilien, in denen sie politisch vertreten waren. Darüber hinaus kam es nicht von ungefähr, dass die ersten Gemälde und Fresken, die Frühformen der Gambe darstellen – eines der ersten typischen Instrumente aus der Renaissance –, in unterschiedlicher Weise im Gebiet um Valencia und Gandia anzutreffen sind, wo ein reger Kontakt zur italienischen Kultur herrschte.
Per Formers | HESPÈRION XXI Jordi Savall |
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Track List | I. Villancicos y Danzas de Altas y Baixas 1450 – 1530I1. La Spagna (basse dance). Anónimo (CMM).2. Dit le Bourguynon. Anónimo.3. Quedate, Carillo (villancico). Juan del Enzina.4. De tous biens plaine (Chanson). H. van Ghizeghem (CMM).5. Collinetto. Anónimo.II6. In Exitu Israel. Anónimo (CMCo).7. Basse danse: Mappa mundi. Johannes Cornago.8. Chiave, chiave (toccata instrumental). Anónimo (CMM).9. Pues con sombra de tristura (villancico). Enrique (CMCo).10. Buenas nuevas de alegría (villancico). Anónimo (CMCo).11. Si de vos mi bien (villancico). Anónimo (CMCa).III12. El cervel mi fa. Anónimo (CMP)13. Mundus Et Musica (Canon Perpetuum). Ramos de Pareja.14. Glosa sobre “Nunca fue pena mayor”. Belmonte (CMCo).15. No tenga nadie sperança (villancico). H. de Xerés (CMCo).16. Muy triste será mi vida (villancico). Juan Urrede (CMCo).IV17. Propinan de Melyor. Anónimo (CMCo)18. Fantasia. Anónimo (CMM)19. Danza alta. Francisco de la Torre (CMP).V20. Estas noches a tan largas (villancico). Anónimo (CMCa).21. O desdichado de mi (villancico). Garci Sánchez de Badajoz.VI22. Ave color vini clari. Juan Ponçe (CMP).23. A sombra de mis cabellos. Gabriel (CMP).24. Quien vos dio tal señorío? (villancico). J. de Triana (CMCo).VII25. Un niño nos es nacido (villancico). Anónimo (CMCa).26. Viva el gran Re Don Fernando. Carlo Verardi.27. Vive le Roy. Josquin des Prés.28. La Spagna, a 5. Josquin des Prés.II. Fantasías, Diferencias y Batallas 1530 – 1690I1. Mortal tristura me dieron (villancico). Juan del Enzina.2. Diferencias sobre las vacas. Anónimo (CMMe).3. Pavana “La Battaglia” per sonar. Clement Janequin.4. La Moresca. Pedro Guerrero (CMMe).II5. Passamezzo Moderno III, 1553.Diego Ortiz.6. Romanesca VII. Diego Ortiz7. Tiento III Primer tono. Antonio de Cabezón.8. Glosas sobre “Hermosa Catalina”. Francisco Guerrero.III9. O voy. Román.10. Buelbe tus claros ojos (villancico). Anónimo (CMMe).11. Diferencias sobre “La Dama le demanda”. A. de Cabezón.12. « Susana un jur » (Glosa). H. de Cabezón (CMMe).IV13. Pavana – Gallarda. Lluís del Milà.14. Fantasía VIII. Lluís del Milà15. Jam lucis orto sidere. Orlando di Lasso.16. Ensalada. S. Aguilera de Heredia.V17. Himno XVI. Antonio de Cabezón (CMMe.18. Batalla de Morales. F. Correa de Arrauxo.VI19. Omnes de Saba venient. Orlando di Lasso.20. Tiento de Batalla. S. Aguilera de Heredia.VII21. Alme Deus, qui cuncta tenes. Orlando di Lasso.22. Batalla Imperial. Joan Cabanilles / (J.C. Kerll). |
Information | Collégiale de Cardona (Catalogne). Grabaciones realizadas entre los años 1987 y 2004 |
Categoria | Catàleg complet |
Eine der interessantesten musikalischen Neuheiten im 15. und 16. Jahrhundert war die Behauptung und Weiterentwicklung der Unabhängigkeit der Instrumentalsprache mit der Etablierung neuer musikalischer Ausdrucksweisen ausgehend von vokalen Formen sowie der Improvisation und des Tanzes. So wie im Italien des 15. und 16. Jahrhunderts das vokale Lied die Entwicklung der Canzoni da sonare und der Madrigali passeggiati an den Höfen prägte, die einen regen Kontakt mit dieser Kultur pflegten – etwa der flämische und der katalanisch-aragonesische Hof –, entwickelte sich ab der Mitte des 15. Jahrhunderts zu Zeiten des aufblühenden, in Neapel kürzlich eingezogenen Hofes Alfons V. des Großherzigen ein neues einschlägiges Repertoire, das sich in den folgenden Jahrhunderten über die gesamte Iberische Halbinsel ausbreitete, insbesondere an den Höfen von Kastilien, Aragon, Katalonien und Valencia, einschließlich Gebiete wie Flandern, Neapel und Sizilien, in denen sie politisch vertreten waren. Darüber hinaus kam es nicht von ungefähr, dass die ersten Gemälde und Fresken, die Frühformen der Gambe darstellen – eines der ersten typischen Instrumente aus der Renaissance –, in unterschiedlicher Weise im Gebiet um Valencia und Gandia anzutreffen sind, wo ein reger Kontakt zur italienischen Kultur herrschte.
Unsere berufliche Annäherung an dieses Repertoire begann bereits in den ersten Jahren der Entdeckung und Erfahrung mit dem Ensemble ARS MUSICÆ aus Barcelona (mit Enric Gispert, 1966-67), gefolgt vom Studium, der Forschung und Experimentierung an der SCHOLA CANTORUM BASILIENSIS (1968-70) sowie später mit der Gründung von HESPÈRION XX (gemeinsam mit Montserrat Figueras, Hopkinson Smith und Lorenzo Alpert, 1974). Im Laufe der über vierzig Jahre langen Forschung und Wiederbelebung des musikalischen Erbes der Hesperien – unter dieser Bezeichnung waren die Pyrenäen- und die Apenninhalbinsel in der griechischen Antike bekannt – gemeinsam mit den Mitarbeitern von HESPÈRION XX, ab 2001 HESPÈRION XXI, wurde so die absolute Bedeutung des Instrumentalrepertoires der Ministriles ab der Mitte des 15. Jahrhunderts festgestellt, mit Werken wie die unterschiedlichen Fassungen der hohen Tänze (bezogen auf die vornehmlich hoch gelagerten, hellen Bläser) und der in improvisatorischer Kontrapunktform gespielten Basses dances (gewöhnlicherweise mit tiefer gelagerten Gambenensembles) ausgehend von gregorianischen Gesängen („In exitu Israel“) oder den beliebtesten, in „Cantus firmus“ umgeschriebenen Weisen wie „La Spagna“, die „Romanesca“, „Las Vacas“, das „Passamezzo“ und „Mapa mundi“ sowie die für jeden Hof und jede Stadt typischen Fanfaren („Dit le bourguynon“, „Vive le Roy“, „Propiñan de Melyor“, „Chiave, chiave“), Volkstänze („Collinetto“, „La Perra mora“, „La Folia“) und höfische Tänze (Pavanen, Gaillarden, Saltarelli, usw.), zu denen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts Fantasien, Tientos, Batallas, Diferencias und Glosados hinzu kamen.
Um einen ausgewogenen Überblick über die ersten Jahre dieses Prozesses (1450-1550) zu gewähren, von denen wenige schriftliche Quellen bestehen, haben wir die wunderbaren Beispiele von Johannes Cornago, Hayne van Ghizeghem, Josquin des Prés und Ramos de Pareja mit einer Auswahl verschiedener Villancicos und Liedern aus dem 15. und der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vervollständigt, die wir auf der Grundlage der gleichen Umsetzungsprozesse instrumental aufführen, die in späteren Veröffentlichungen von Luys de Narváez (1538), Diego Ortiz (Rom 1553), Luis Venegas de Henestrosa (1557), Tomás de Santa María (1565), Antonio und Herrando de Cabezón (1578) in wundersamen Ausführungen zu finden sind.
Viele dieser Werke haben als instrumentales Zwischenspiel in unseren Einspielungen für vokale Musik aus dem spanischen goldenen Zeitalter gedient, insbesondere zu den bedeutendsten Gesangbüchern – Colombina, Juan del Enzina, Palast, Kalabrien, Medinaceli, Sablonara. In diesem neuen Programm zum Repertoire der MINISTRILES REALES sind sie erstmals in einem eigenen Korpus gemeinsam zu hören. Hier wurden die Stücke nach einem differenzierten Musikkonzept ausgewählt und zusammengestellt, das dem musikalischen Raum jedes Werks Rechnung trägt, so dass sie alle vornehmlich nach chronologischer Zeitabfolge geordnet sind. So tritt die Originalität, die Pracht sowie die Formen- und Stilvielfalt eines Repertoires deutlich zu Tage, das über seine eigene Relevanz hinaus die Entstehung und außergewöhnliche Entwicklung einer neuen Kunst, der „Musik zum Spielen“ darstellt. Diese Kunst bildete auch die Grundlage, auf der sich der gesamte Reichtum des Kammer- und Orchestermusikrepertoires im 17. und 18. Jahrhundert entfaltete.
JORDI SAVALL
Paris/Seoul, Dezember 2008
Übersetzung: Gilbert Bofill i Ball